Gibt es bei Euch auch Schlüsselerlebnisse für den Glauben?, fragen die Autoren, Andreas Gloy und Thorsten Knauth, im neuen Schulbuch „glauben, vertrauen, zweifeln“, dem 3. Band der Hamburger Schulbuchreihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“, die Religionskundigen aus Judentum, Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Islam und Alevitentum.

Melek Yıldız, Mitautorin und Stellvertretende Generalsekretärin der AABF, antwortet aus ihrer alevitischen Perspektive:

„Wie für Thorsten und Rachel gab es für mich auch eine Situation in meiner Vergangenheit, in der ich mich fragte, wie dies hatte geschehen können. Ich kann mich sogar noch an den Tag erinnern. Es war der 2. Juli 1993. Ich war zu der Zeit bei meinen Großeltern in Istanbul, als im Fernsehen ein Livebericht gezeigt wurde. An diesem Tag fand in der Provinzstadt Sivas ein Kulturfestival statt, zu dem sich namhafte Dichter, Schriftsteller, Musiker, Folkloregruppen und Tausende vor allem junge Menschen versammelt hatten. Die Mehrheit der Besucher gehörte der alevitischen Glaubensrichtung an, doch auch Nicht-Aleviten, waren nach Sivas gekommen. Organisiert wurde das Festival zu Ehren des Mystikers und Volksdichters Pir Sultan Abdal, der im 16. Jahrhundert in der Provinz Sivas gelebt hat und vom osmanischen Gouverneur in Sivas hingerichtet wurde. Auf dem Festival wurde ein offensichtlich geplantes Pogrom entfacht. Unter Beteiligung von Mitgliedern extremistischer, religiös motivierter und islamistischer Gruppen und faschistischer Parteien sammelten sich mehrere tausend Menschen und schlossen etwa fünfzig Menschen, darunter vor allem die geladenen Gäste, im Hotel Madımak ein. Das Hotel wurde stundenlang von dem Mob belagert. Polizei und Sicherheitskräfte schauten zu und der Bürgermeister der Stadt sprach der Menge über Mikrofon seine „Achtung“ aus. Gegen 19 Uhr wurde das Hotel schließlich in Brand gesteckt und unter dem Gejohle der Menge verbrannten und erstickten 35 Menschen. Das Geschehen wurde von mehreren Fernsehkameras aufgezeichnet. Dieses Ereignis ist nicht nur für mich ein Schlüsselerlebnis gewesen. Nach diesem Pogrom haben sich die Aleviten in Deutschland verstärkt den Alevitischen Gemeinden angeschlossen.“

Das Hamburger-Konzept für den Religionsunterricht ist im Vergleich zu den anderen Bundesländern ein Sonder-Modell. Unter der Bezeichnung „Religionsunterricht für Alle“ (RUFA) werden alle Schülerinnen und Schülern der verschiedenen Religionen in Hamburg gemeinsam unterrichtet. Insbesondere für den interreligiösen Dialog und für das friedliche Miteinander ist dies vorbildhaft. Schülerinnen und Schüler mit christlichen Hintergrund erfahren so Glaubensinhalte über die anderen Religionsgemeinschaften wie die Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus und auch Aleviten, so wie auch anderes herum.

Um die Lehrerinnen und Lehrer auf diese besondere Unterrichtssituation vorzubereiten, entstand die Schulbuchreihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“ und damit einhergehend eine Didaktik und Methodik für interreligiöses Lernen. Die Unterrichtsmaterialien für den RUFA werden von Lehrkräften der verschiedenen Religionsgemeinschaften erstellt. Melek Yıldız, Religionslehrerin und Vorstandsmitglied der Alevitischen Gemeinde Deutschland, hatte die große Ehre die alevitische Perspektive einzubringen. So arbeitete sie gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern des Buddhismus (Oliver Petersen), des Christentums (Andreas Gloy und Thorsten Knauth), des Hinduismus (Erlend Petersson), des Islams (Armin Rochdi) und des Judentums (Rachel Herweg) diese interreligiöse Lehrbuchreihe aus.

Zentrum dieser Unterrichtsmaterialien sind die großen Fragen nach Sinn und Sinnlosigkeit, Glück und einem guten Leben sowie die Suche nach Identität. Diese Fragen und die daraus entstehenden Gespräche zwischen Schülern und Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten bilden den Ausgangspunkt dieses Bandes. Die Schülerinnen und Schüler lernen wichtige Quellen aus den religiösen Traditionen kennen. Kurze Texte, die ungewöhnliche Perspektiven eröffnen, Lehrworte, die Orientierung geben, religiöse Symbole werden vorgestellt und interpretiert und helfen dabei, eigene Antworten zu finden. Zugleich lassen die Religionskundigen die Jugendlichen an ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit Gott und der Welt und mit dem, was ihnen selbst Hoffnung und Orientierung gibt, teilhaben. Sie kommentieren die Alltagsanforderungen und Probleme aus ihrer Sicht und geben Material zum Weiterarbeiten. So manifestierte Melek Yıldız zum ersten Mal weltweit Aspekte der Alevitsichen Lehre für den Schulunterricht. Ihre Deutungen sowie auch die von den Vertreterinnen und Vertretern der Weltreligionen sind aber nicht als „richtige“ Antworten zu verstehen, sondern als Beitrag zum gemeinsamen Gespräch über Glaube, Zweifel und Vertrauen.

Diese Schulbuchreihe ermöglicht eine produktive Auseinandersetzung mit den Religionen durch konsequent interreligiös angelegte Unterrichtsmaterialien. Ob für das Studium, die theoretische Fundierung im Studium und Examen, als Lesebuch, interreligiöses Lernbuch oder als praktisches Material für den Unterricht für die Klassen 8/9 aufwärts; das Buch bietet in vieler Hinsicht „erprobtes Neues“ und verhilft zu spannenden Auseinandersetzungen zu Fragen des Glaubens, Vertrauens und Zweifelns.

Herausgeber sind die Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg und das Pädagogisch-Theologische Institut der Nordkirche.

Sie können das Buch direkt hier bestellen:

http://www.oldenbourg.de/osv/reihe/r-7708/ra-10725/titel/9783060655014

Oder auf unserer nächsten Vollversammlung im März am Buchstand erwerben.

Für Fragen:
Melek Yıldız (stellv. Generalsekretärin)
E-Mail: melek.yildiz@alevi.com