BZ-INTERVIEW mit Saadet Grandazzo über den alevitischen Glauben, die Situation in der Türkei und das trinationale Festival.
Das Alevitische Kulturzentrum Weil lädt am 2. und 3. Juni zum ersten Alevitischen Kulturfestival des Dreiländerecks ein. Die Weiler Aleviten organisieren das Fest zusammen mit Alevitischen Kulturzentren aus dem Kreis Lörrach, Frankreich und der Schweiz. Mit einem Kulturprogramm und politischen Diskussionen wollen sie der Bevölkerung ihre Kultur nahe bringen. Dabei wird es auch um die Präsidentenwahlen in der Türkei gehen. Regine Ounas-Kräusel hat mit der Vorsitzenden des Alevitischen Kulturzentrums, Saadet Grandazzo, über das gesprochen.
BZ: Was erwartet die Besucher beim ersten Alevitischen Kulturfestival im Dreiländereck?
Grandazzo: Wir werden die Besucher auf Deutsch, Türkisch und Französisch über das Alevitentum informieren. Unterstützt wird unser Festival von den Alevitischen Dachverbänden aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Europa.
BZ: Was steht auf dem Programm?
Grandazzo: Das Festival beginnt am Samstag mit einem Cem-Ritual. Geistliche, die bei uns Dede oder Pir heißen, werden mit uns unsere Gebete, die Nefes, singen. Wir werden auch Semah, das Drehen als Bestandteil von unserem Cem Ritual, praktizieren.
BZ: Ist das eine Art Tanz?
Grandazzo: Nein, das ist kein Tanz. Das Semah symbolisiert das Universum, die Umlaufbahn der Planeten um die Sonne. Wir drehen uns barfuß, mit einem erhobenen Arm und verbinden uns dabei symbolisch mit Himmel und Erde. Ich bedaure übrigens sehr, dass nach dem Cem weder Oberbürgermeister Dietz noch Bürgermeister Huber ein Grußwort sprechen werden. Beide haben unsere Einladung leider abgesagt. Wir freuen uns aber, dass Gemeinderat Gustav Walliser mit uns die Eröffnung feiern wird.
BZ: Was erhoffen Sie sich von dem Fest?
Grandazzo: Wichtig ist uns, dass wir hier zusammentreffen und uns über Sprach- und Ländergrenzen über unsere Wurzeln, über die alevitische Kultur austauschen. Die Gemeinschaft, das Muhabbet, ist für unsere Kultur sehr wichtig.
BZ: Welche Werte spielen für die Aleviten außerdem eine Rolle?
Grandazzo: Da gibt es so einige. Wichtig sind uns unsere Cem-Rituale. Außerdem unsere Liebe zur Natur, den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Auch die Wertschätzung aller Menschen ist wichtig. Die Aleviten stehen immer auf der Seite der Unterdrückten. Wichtig sind für uns auch unsere Lieder, die Nefes.
BZ: Diese Nefes singen die Aleviten zur Langhalslaute Saz und geben so ihre Kultur weiter, richtig?
Grandazzo: Ja, und unseren Glauben. Wir reden vom Weg, Yol, auf dem wir versuchen, uns immer weiter zu entwickeln.
BZ: Ich habe den Eindruck, dass die Aleviten in Deutschland offen sind für die Kultur ihrer Umgebung und sich in die Gesellschaft einbringen. Hängt das mit dieser Haltung zusammen?
Grandazzo: Das ist richtig. Aber das Andere zu verstehen, heißt nicht, das Eigene zurückzulassen. Auf dem Festival wollen wir den Menschen unseren Weg, Yol, nahe bringen – das ist mir ganz wichtig. Wir wollen, dass die Menschen verstehen, woran wir glauben, weil wir eine Geschichte haben. Und weil unsere Werte nicht mit islamischen Werten verbunden sind.
BZ: Bei den Aleviten steht kein Gott im Mittelpunkt?
Grandazzo: Nein, wir sehen Gott in allen Lebewesen. Daher stehen der Mensch, das Leben und die Liebe im Mittelpunkt. Unser Glaube ist sehr humanistisch.
BZ: Wie ist die Situation der Aleviten in der Türkei?
Grandazzo: In der Türkei sind Aleviten als Religionsgemeinschaft nicht anerkannt, aus diesem Grund will die Regierung die Aleviten mit dem Islam assimilieren. Sie bauen mit unseren Steuergeldern Moscheen und bilden Imame aus, aber wir bekommen keine Cem-Häuser. Das Schlimmste ist aber: Die Regierung versucht, unsere Cem-Häuser durch unsere eigenen Leuten zu assimilieren.
BZ: Die Regierung setzt vom Staat ausgebildete Imame in die Cem-Häuser?
Grandazzo: Es gibt staatlich ausgebildete Dede, alevitische Geistliche. Die versuchen dann, arabische Rituale einzuführen. Solche Geistlichen schickt die Regierung auch nach Deutschland. Umso wichtiger sind Veranstaltungen wie das Festival, um unseren eigenen Leuten den Weg der Aleviten, Yol, zu zeigen.
BZ: Sie wollen also in erster Linie Aleviten ansprechen? Wollen Sie auch andere Bürger erreichen?
Grandazzo: Ja, natürlich. Deshalb haben wir die Schulen eingeladen, die Abgeordneten. Wir wollen, dass die Leute verstehen, woran wir glauben. Viele halten uns für eine Splittergruppe des Islam. […]
Info: Alevitisches Kulturfestival, Rollsporthalle, Dr.-Peter-Willmann-Allee, 2. Juni, ab 11 Uhr, 3. Juni 12 bis 20 Uhr. Parken: Parkplatz Festplatz beim Dreiländergarten, Nonnenholzstraße. Parken bei Rollsporthalle nicht möglich. Programm: 2. Juni: 11 bis 12 Uhr Eröffnung mit Cem-Ritual, Begrüßung durch Hüseyin Matt, Präsident der Alevitischen Dachverbände in Deutschland und Europa und durch Gemeinderat Gustav Walliser, Podiumsdiskussionen, 20 Uhr Party für die Jugend. Veranstaltungssprachen Deutsch, Türkisch, Französisch. Veranstalter: Die alevitischen Kulturzentren aus Weil am Rhein, Rheinfelden, Müllheim, Saint Louis und Basel.