Verbannt aus dem öffentlichen Leben, verbannt aus der Türkei – Die Demokratie und Menschenrechte
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
sehr geehrte Damen und Herren,
nach Verlautbarung der Deutschen Bundesregierung ist Ihre Staatsreise in die Türkei am 2.2.2017 vorgesehen. Sie werden dabei den de facto Alleinherrscher und Usurpator der Türkei treffen.
Im Namen der 156 Alevitischen Gemeinden in Deutschland und der stimmenlosen Menschen und BürgerInnen in der Türkei, wenden wir uns an Sie und weitere politische Entscheidungsträger in Deutschland.
Die Mitglieder der Alevitischen Gemeinde, und andere Demokraten in Deutschland und der Welt, erwarten eine klar geäußerte Haltung zu der aktuellen Menschenrechtslage und den politischen Entwicklungen in der Türkei. Es würde einer tiefen Missachtung unserer Werte gleichen, wenn die offensichtlichen Menschenrechtsverstöße nicht gegenüber dem Alleinherrscher und Usurpator, Herrn R. T. Erdogan, angesprochen werden.
Am Beispiel der Aleviten in der Türkei lassen sich Unterdrückungen nachzeichnen. Obwohl auch Sie sicherlich hiervon gehört haben, möchten wir einige wenige in Erinnerung rufen:
- Die Missachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, darunter zählen die Rechtswidrigkeit des Zwangs-Religionsunterrichts sunnitischer Ausprägung, die Erhebung von Steuern zu Lasten der Aleviten für den sunnitischen Staatsislam, zahlreiche Verstöße gegen die Glaubensfreiheit, etc.
- Der einzige alevitische Fernsehsender YOL TV, mit deutscher Sendelizenz, wurde in der Türkei verboten.
- Staatsbediensteten werden alevitische Begräbnisse verweigert.
Die Freiheit in der Türkei ist gestorben, die Demokratie hängt buchstäblich am seidenen Faden.
Die Demokratie und Partizipationsrechte sind aus der Türkei verbannt. Sie befinden sich im Exil. Türkische Nato-Offiziere, Journalisten wie z. B. Can Dündar, ethnische wie religiöse Minderheiten, PolitikerInnen, die Zahl der Asylsuchenden nimmt zu.
Auch mit Blick auf die Situation in Deutschland macht sich diese autoritäre Gesinnung zunehmend Luft und höhlt unseren gesellschaftlichen Frieden von innen aus. Es handelt sich dabei nicht um einen importierten Konflikt, sondern um eine Auseinandersetzung der Freiheit gegen die der Unterdrückung, eine der Selbstbestimmung gegenüber der Vereinnahmung, eine der Demokratie gegen die Gegner der Demokratie.
So humanitär Ihr Akt der Grenzöffnung war, so wenig beständig erscheint diese Haltung in der Politik gegenüber der Türkei. Der Sinn und Zweck, einen fast 80 Millionen-Staat in die Diktatur reisen zu lassen, ohne Widerworte, ohne Sanktionen, ohne klar artikulierte politische Haltung, erschließt sich den Aleviten und vielen BürgerInnen nicht. Sie lässt sich weder mit der Staatsraison erklären und noch weniger mit den anstehenden Landtags-/Bundestagswahlen.
Denn nahezu alle BürgerInnen Deutschlands, gleich ob mit oder ohne Migrationsgeschichte, erwarten eine Position und verantwortungsvolle Politik für die zukünftigen Generationen.
Besonders mit Blick auf das Referendum zur Präsidialdiktatur, das unter den Rahmenbedingungen als undemokratisch bezeichnet werden muss, wünschen wir uns eine Kanzlerin, die unseren Standpunkt öffentlich mitteilt. Wir wünschen uns eine Kanzlerin, die nicht als Helferin der türkischen Diktatur in die Weltgeschichte eingehen wird. Reichen Sie Herrn Erdoğan nicht die Hand. Öffnen Sie die Grenzen für die Freiheit und Demokratie, zeichnen Sie rote Linien.
Europas Demokratien sind auf dem Rückzug, auch weil die Demokraten sich unglaubwürdig machen, durch das Schweigen gegenüber Diktaturen. Die Glaubwürdigkeit der Deutschen Regierung und des deutschen demokratischen Systems gehen mit Ihnen in die Türkei. Dessen muss sich die Regierung bewusst sein, nach vielen schmerzlichen Niederlagen.
Mit freundlichen Grüßen
Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF)